Erbrecht und digitaler Nachlass: Bundesgerichtshof (BGH) klärt Pflichten von Social-Media-Plattform

Erschienen am: 10. Januar 2025

Susanne Kilian, Rechtsanwaltskanzlei Kilian & Kollegen, Kitzingen - Fachanwältin für Familienrecht sowie für VerkehrsrechtDer technologische Fortschritt und die damit einhergehenden Veränderungen in der Kommunikation stellen die Gesetzgebung und Rechtsprechung heutzutage vor große Herausforderungen. Es geht nicht nur darum, neue rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die mit dem rasanten Tempo der Entwicklung unserer Zeit Schritt halten, sondern auch darum, bestehende Gesetze an die neuen Gegebenheiten anzupassen und entsprechend anzuwenden.
Im Fokus stehen vor allem Themen wie Datenschutz, digitale Kommunikation, Künstliche Intelligenz, die Nutzung sozialer Medien und die Frage nach dem Eigentum an digitalen Inhalten.
Ein zentrales Beispiel ist der Datenschutz. Durch die Digitalisierung werden immense Mengen personenbezogener Daten verarbeitet, die geschützt werden müssen. Nur einer der Gründe warum die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eingeführt wurde. Dies soll sicherstellen, dass Unternehmen verantwortungsvoll mit Nutzerdaten umgehen und die Privatsphäre der Nutzer wahren. Neue Technologien wie Gesichtserkennung und Big Data erfordern zusätzlich eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Anpassung bestehender Gesetze.

Die Frage, wie digitale Inhalte rechtlich behandelt werden sollten
Und dementsprechend auch stellen sich im Bereich der digitalen Kommunikation rechtliche Fragen. Denn „Soziale Netzwerke“ sind mitunter wichtige Plattformen für die Meinungsäußerung. Gerichte müssen daher zunehmend über die Grenzen der Meinungsfreiheit im Internet entscheiden, etwa im Zusammenhang mit Hassrede oder Desinformation. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Deutschland verpflichtet Plattformen beispielsweise dazu, rechtswidrige Inhalte zügig zu entfernen, ohne die Meinungsfreiheit unverhältnismäßig einzuschränken. Mit Sicherheit ein nicht sehr einfacher Spagat, der es nicht immer allen und jedem recht machen kann.
Die Anwendung bestehender Gesetze steht ebenfalls vor neuen Herausforderungen, etwa bei Cyberkriminalität, digitalen Urheberrechtsverletzungen oder Vertragsabschlüssen auf Online-Plattformen. Häufig entstehen rechtliche Grauzonen, die durch Präzedenzfälle oder neue Gesetze geklärt werden müssen.
Auch ursprünglich analoge Gegenstände wie persönliche Besitztümer, Erinnerungen oder wichtige Dokumente existieren zunehmend in digitaler Form. Die Frage, wie digitale Inhalte wie Fotos, Videos, Texte oder gekaufte Inhalte (z. B. Filme, Musik, Spiele, Software) rechtlich behandelt werden sollten, gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Urteil des Bundesgerichtshofs
Ein Urteil des Bundesgerichtshofs hat richtungsweisende Bedeutung erlangt: Verhandelt wurde ein Streit um das digitale Erbe eines verstorbenen Mädchens. Die Eltern, die nach ihrem tragischen Tod Zugang zu ihrem gesperrten Social-Media-Konto forderten, erhofften sich durch die Einsichtnahme wertvolle Hinweise auf die Hintergründe des Todes ihrer Tochter. Dabei beantragten sie ausschließlich eine Lesefreigabe, ohne aktives Schreibrecht auf der Plattform.
In den Vorinstanzen wurde den Eltern der vollständige Zugriff auf die Daten zugesprochen. Der Plattformanbieter folgte dem Urteil, indem er einen USB-Stick mit einem PDF-Dokument übergab, das mehr als 14.000 Seiten umfasste.
Das Öffnen einer solch umfangreichen Datei erfordert jedoch leistungsstarke Hardware und spezifische Fachkenntnisse – Anforderungen, die in einem durchschnittlichen Haushalt kaum erfüllt werden können. Auch die sinnvolle Aufbereitung oder das Ausdrucken dieses Dokuments stellt Laien vor große technische und logistische Hürden.

PDF mit 14.000 Seiten
Wer soziale Netzwerke nutzt, kann nachvollziehen, dass zwar einzelne Inhalte durchgearbeitet werden könnten, ein Verständnis des gesamten Kontextes aber praktisch unmöglich ist. Später wurde festgestellt, dass die bloße Übergabe der Daten in Form eines PDF-Dokuments nicht den Ansprüchen der Eltern auf einen vollwertigen Zugang zum Benutzerkonto gerecht wurde.
Der Bundesgerichtshof entschied schließlich, dass das digitale Vertragsverhältnis der Tochter gemäß § 1922 BGB auf die Erben – in diesem Fall die Eltern – übergeht. Das bedeutet, dass die Erben denselben Zugang zu den Daten und Nachrichten im Konto erhalten müssen, wie es der verstorbenen Kontoinhaberin möglich gewesen wäre. Dabei wird klargestellt, dass der Zugang lediglich eine Einsichtnahme umfasst, jedoch keine aktive Nutzung wie das Veröffentlichen neuer Beiträge erlaubt.
Und dieses Urteil hat weitreichende Bedeutung, da es die Rechte der Erben im digitalen Zeitalter definiert und gleichzeitig die Pflichten von Plattformbetreibern konkretisiert. Ein reines Bereitstellen von Daten – wie in Form eines PDF-Dokuments – wird der Komplexität moderner Kommunikationsplattformen nicht gerecht. Informationen, die in Chats, Posts und Kommentaren verteilt sind, ergeben nur in ihrem ursprünglichen Kontext ein vollständiges Bild. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass Erben nicht nur Anspruch auf die Daten selbst haben, sondern auch auf einen strukturierten Zugang, der die Plattformfunktionen einbezieht.

Datenschutz und Erbrecht im digitalen Raum
Die Entscheidung zeigt, wie eng Datenschutz und Erbrecht im digitalen Raum miteinander verknüpft sind. Digitale Inhalte wie Fotos, Nachrichten und Interaktionen haben heute eine ebenso hohe Bedeutung wie physische Gegenstände im Nachlass. Gleichzeitig unterstreicht das Urteil, dass der technologische Fortschritt eine kontinuierliche Anpassung bestehender Gesetze erfordert.
Die Frage, wie wir mit den digitalen Daten Verstorbener umgehen, wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Dieses Urteil hat einen wichtigen Grundstein gelegt, um die Rechte der Erben im digitalen Zeitalter zu stärken und den Umgang mit digitalen Nachlässen zu regeln. (BGH, Beschluss vom 27.08.2020 – III ZB 30/20).

Die Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs (Nr. 119/2020), Karlsruhe, finden Sie direkt hier:
Zur Auslegung eines Urteils, das die Betreiberin eines sozialen Netzwerks verpflichtet, den Erben der Berechtigten eines Benutzerkontos Zugang zum vollständigen Konto zu gewähren

Mehr finden Sie auch direkt beim „Bundesministerium der Justiz“:
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 1922 Gesamtrechtsnachfolge

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Susanne Kilian, Fachanwältin für Familien- und Verkehrsrecht, Kitzingen
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„Erbrecht und digitaler Nachlass: Bundesgerichtshof (BGH) klärt Pflichten von Social-Media-Plattform“

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