Verkehrsregel „rechts vor links“ gilt – nicht immer

Erschienen am: 18. Juli 2022

Sabrina Jost Anwalt Verkehrsrecht in KitzingenDas Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit seinem Urteil vom 22.6.2022, Az. 17 U 21/22 entschieden, dass beim Befahren von Fahrgassen eines Parkplatzes, die vorrangig einer Parkplatzsuche dienen (und somit nicht dem fließenden Verkehr), die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ nicht anzuwenden ist. Vielmehr sind hier Fahrzeugführer verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit anderen Fahrern zu suchen.
Der Verhandlung vorausgegangen war ein Zusammenstoß zweier Pkws auf einem Parkplatz. Ein Fahrzeugführer, der mit seinem Pkw von rechts kam, nahm an, die Vorfahrt zu haben und kollidierte mit einem Pkw, der aus einer Fahrgasse von links heraus gelenkt wurde.
(Die gesamte Pressemeldung des OLG Frankfurt am Main hierzu finden Sie am Ende des Beitrags verlinkt.)

Ähnlich eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs im März 2022. Hier wurde in einem anderen Fall entschieden, dass bei einer beidseitigen Fahrbahnverengung (Gefahrenzeichen 120 nach Anlage 1 zu § 40 Abs.6 und 7 StVO) das Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme (§ 1 StVO) gilt. Ein regelhafter Vorrang eines der beiden bisherigen Fahrstreifen besteht nicht. In solchen Fällen hat kein Verkehrsteilnehmer Vorfahrt. Also, auch in solch einer Situation findet die Regel „rechts vor links“ keine Anwendung.

Egal ob Inhaber eines Führerscheins oder nicht, von „rechts vor links“ hat mit Sicherheit schon jeder gehört. Diese Regel definiert das Vorfahrtrecht, sobald sich Fahrzeuge auf zwei gleichberechtigten Straßen an einer Kreuzung begegnen. Es gilt die einfache Regelung, dass der von rechts Kommende zuerst fahren darf. Und bitte beachten Sie, dass neben Kraftfahrzeugen auch Fahrräder zur Gruppe der Fahrzeuge, die der Regel „rechts vor links“ unterliegen, zählen.
Die Regel „rechts vor links“ findet jedoch keine Anwendung, wenn die Vorfahrt durch Verkehrszeichen oder Ampelanlagen (oder auch durch die Polizei!) anders geregelt ist.

Um nun die Regel immer richtig anzuwenden, gilt es zu wissen, was „gleichberechtigte“ Straßen sind. Wald- und Feldwege, die außerorts auf eine Landstraße treffen, sind beispielsweise nicht gleichberechtigt. Somit muss einem Fahrzeug, das von rechts aus einem Wald- bzw. Feldweg kommend, auf eine Landstraße einfährt, nicht die Vorfahrt gewährt werden. Das ist in § 8 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) geregelt.
Weitere Situationen im Straßenverkehr, auf die die Regel „rechts vor links“ nicht anzuwenden ist, regelt § 10 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Hier wird das Ausfahren von Grundstücken, Fußgängerzonen sowie aus einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße oder von anderen Straßenteilen oder über einen abgesenkten Bordstein hinweg als nicht „gleichberechtigt“ aufgeführt.

Zusätzlich findet sich in diversen Urteilen auch immer wieder der Begriff „Straßencharakter“. Genauer wird dieser Begriff dahingehend definiert, dass ein Straßencharakter sich aus der Art und Weise der baulichen Art angelegter Fahrspuren ergibt. Für einen solchen Straßencharakter spricht etwa die Breite oder auch weitere bauliche Merkmale wie Randstreifen, Bürgersteige, Gräben sowie Markierungen. Die Regel „rechts vor links“ greift dann, sobald Fahrspuren diesen Straßencharakter besitzen.

So einfach die Regel „rechts vor links“ klingt, so komplex kann sie sich doch in bestimmten Situationen erweisen. Deswegen sind Sie gut beraten, im Zweifelsfall lieber einmal den Fuß vom Gaspedal zu nehmen und vielleicht den anderen Verkehrsteilnehmer den Vortritt zu überlassen.

Die Pressemeldung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main finden Sie hier:
Hälftige Haftung

Das im Beitrag erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofes finden Sie direkt hier beim Internetauftritt des BGH:
BGH, Urteil vom 8. März 2022 -VI ZR 47/21

Weitere Informationen:
Bundesgerichtshof (BGH) regelt bis dato unklare Vorfahrtsregel

Sabrina Jost, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Kitzingen
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht | Arzthaftungs- und Medizinrecht | Verkehrsrecht | Allgemeines Zivilrecht

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